Spaß auf der Intensivstation

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Liebe Leser

am liebsten schreibe ich vom Schreibtisch aus. Dies lässt sich allerdings im Moment nicht realisieren. Ich befinde mich nämlich seit Donnerstag, 01.09. auf der Intensivstation unseres Nürnberger Klinikums. Der Titel des Blogs ist zum Teil Beschreibung, zum Rest eben Teaser, um mehr Klicks zu erzeugen. Zur Sache. Ich bin krank. Kein Schnupfen…

Diese sogenannte Aortendissektion ist ein wirklicher Spaßkiller! Was als vermeintlich orthopädisches Problem mit zugegebenermaßen seltsamen Begleiterscheinungen daher kam, entpuppte sich nach dem CT und der fachärztlichen Diagnose als immerhin lebensbedrohend, und zwar akut. In unserem Klinikum wurde mir bereits nach den ersten Untersuchungen jegliche körperliche Betätigung des Rumpfes (insbesondere jede Art von Gehen), strikt untersagt. Die angerissene Hauptschlagader kann, unter Berücksichtigung meines hohen Blutdrucks, bei solcher Belastung jederzeit reißen. Ich sag’s ja: Spaßkiller!

Dir meiste Zeit liege ich relativ dumpf herum und betrachte dieses

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oder jenes:

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Seit inzwischen über 100 Stunden LIEGE ich, angeschlossen an mannigfaltige Diagnoseelektronik unter fachkundiger und fast immer auch herzlicher Betreuung zumeist alleine (hat seine Vorteile) in einem Zimmer der Intensivstation und werde mit den unterschiedlichsten Medikamenten zur Blutdrucksenkung gefüttert.

Solange der Blutdruck nicht sinkt (und der ist da durchaus störrisch), ist das gesamte – ohnehin angeschlagene – Gefäßsystem permanent überlastet und kann nicht durch Stents oder andere Maßnahmen entlastet oder „repariert“ werden.

Und die Sichsders haben wieder gewonnen! [Hierzu muss erklärt werden, dass der fränkische Ausruf Sichsders oder Sixders aus dem Hochdeutschen „(Na, da) siehst du es!“ kommt.] Die Menschen, die es immer schon gewusst haben: Mangelnde Bewegung, übermäßiges Essen und Rauchen – wie das ausgeht, ist klar. „Selber schuld, der Moppel, wenn er sich nicht zusammenreißen kann! Und ich muss das noch mit meinen Krankenkassenbeiträgen bezahlen!“ Solche Menschen gibt es viele. Allerdings nicht in meinem Freundeskreis.

Nun habe ich mir gedacht, so mit meinem angeborenem Humor und der üblichen Prise Ironie oder Sarkasmus ließe sich doch in dieser außergewöhnlichen Umgebung sicherlich Tiefsinniges oder Absurdes schreiben, zumal beides hier nahezu andauernd vorkommt. Aber, und das ist eine Beobachtung, die ich schon bei vielen ernsthaft oder gar tödlich erkrankten Freunden und Bekannten machen musste: Wenns ans Eingemachte geht, lässt der Spaß nach! Mit geliebten Angehörigen zu scherzen (man will ja nicht nur Trübsal blasen) oder mit Freunden vor Ort oder auch per Telefon Blödsinn zu schnacken, macht Laune und hebt die Stimmung. Aber dann… kommt die Angst um das kleine, im Gesamtzusammenhang mit Menschheit oder gar Universum so unbedeutende Leben, gepaart mit der kleingeistigen Frustration, dass dieses Leben, falls es hier auf Erden weiterginge, nicht mehr dasselbe sein wird, welches es vorher war. Nach der dritten Ermahnung, ich müsse dies „sehr ernst nehmen“, ist meine Humor-Armo zerborsten und ich blase jetzt Trübsal. Neben mir liegt ein alter Mann mit irgendeinem Krebs im Endstadium.

Anstatt die nun möglicherweise dramatisch begrenzte Restlebenszeit dafür zu nutzen, jede Minute mit der geliebten Familie zu verbringen, tiefsinnige philosophische Erkenntnisse zu postulieren, Erzfeinde final zu zertrümmern (zumindest geistig), Intrigen bzgl. des Erbes einzufädeln, heftige Drogenexperimente durchzuziehen, musikalische Dogmen zu widerlegen, Mathematik und Physik zu ignorieren, missliebigen Zeitgenossen definitiv verseuchte Finanzprodukte aufzuschwatzen, vom Eiffelturm zu kotzen, sinnfreie Interviews zu geben und, und, und… etc. was tut man statt dessen?

Ganz abgefahrene und welterschütternde Sachen:

  • Schlafen: Braucht man kaum, tut man dennoch. Die in etwa zwischen 23:00 Uhr und 5:30 Uhr festgelegte Schlafenszeit ist derart aufwendig, dass man am besten schon etwas im voraus tankt. Dieser anberaumte Schlaf ist s0 unerholsam, dass ich es hier etwas detaillierter schildern möchte, ohne das super-engagierte und nette Pflegepersonal in irgend einer Weise zu diskreditieren!
    Vor dem Schlaf gilt es, alle für die Nacht unerlässlichen Medikamente bereitzustellen, Tabletten (Blutdrucksenkung, Schmerzmittel) zur oralen oder intravenösen Gabe. Alle Zugänge werden geprüft, ggf. gespült. Der Urinbeutel wird ausgeleert. Die Komponenten des Apnoegeräts werden gereinigt und montiert. Sättigung etwas zu niedrig? Sauerstoff wird zugegeben. Dann werden alle Kabel, Schläuche, Drähte so um den Patienten angeordnet, dass die meisten Signale übertragen werden und sich der Patient innerhalb der ersten 10 Minuten nicht stranguliert. Danach ziemlich sicher. Der Blutdruck ist inzwischen durch die hektische Verkablerei wieder in ungesunde Bereiche gestiegen. Ich kriege Panik, Angst vor dem sicher nicht kommenden Schlaf, vollverkabelt in Rückenlage. Ich bekomme zwei Benzodiazepine und bin – buff – schnell eingeschlafen.
  • Dösen: Immer wieder habe ich Freunden, die aus den unterschiedlichsten Gründen einige Zeit im Krankenhaus verbringen mussten, vorgeworfen (zumindest hinter vorgehaltener Hand), sie hätten aus der gewaltigen Zeitmenge nichts gemacht, die faulen Säcke! Nun habe ich nach Schreiben des Mini-Absatzes über das Schlafen mal lässig eine halbe Stunde gedöst. Einfach so, weil ich kaputt bin.
  • Stuhlgang: Drei Tage hatte ich mir das auf der Station  verkniffen, dann hatte es keinen Sinn mehr. Da ich ja nicht auf eine Schüssel gehen durfte, war das Große Geschäft im Liegen mit untergeschobener Bettpfanne zu erledigen. Ich denke, die komplette Intensivstation (die Glastüren sind nur sporadisch geschlossen) musste meine Leistung anerkennen, mehr als eine Pfanne zu füllen („Kann gar nicht sein… oh!“). Klingt lustig, ist ein Alptraum.
  • Waschen: Angeschnallt wichtige Körperteile zu säubern, Deo auf wichtige Sensoren sprühen, Kabelbaum reorganisieren und Messaufbau neu in Betrieb nehmen. Zeitaufwand etwa 1 Stunde.
  • Essen: Auf der Intensivstation wird (also hier in Nürnberg) gar nicht so schlechtes Essen serviert. Möglicherweise ist man wegen der Ausgabe von Henkersmahlzeiten großzügig bei den Portionen. Aber ich bin vorsichtig und gegen jede Gewohnheit zurückhaltend – siehe Stuhlgang!
  • Dösen: Den hatte ich schon… ich bin echt platt.

Liebe Leser,

das Schreiben vom Krankenbett ist anstrengend. Ich werde in den nächsten Tagen operiert und dann werden wir sehen, ob es andere Geschichten gibt, die ein andermal erzählt werden.

Bleibt mir gewogen, drückt die Daumen

(und lest Avanti Dilettanti)

Euer

Gige

 

5 Kommentare zu „Spaß auf der Intensivstation

      1. Es sind Offbeats, Synkopen und betonte sechzehntel auf der Eins. Alles Herzensangelegenheiten. Auf unstimmbarem Saiteninstrument geschraddelt (Banjo, der uneheliche Vater der E-Gitarre!!!) Und für richtigen Druck in der Hauptleitung ein schwarzes Bier dabei. Mehr gedankliche Empathie kann ich da echt nicht bieten.

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  1. Lieber Gige – klingt jetzt etwas seltsam, aber das ist ein toll geschriebener Text. Ich weiss nicht ob es das Genre des Intensivstationfeuilleton schon gibt, wenn nicht hast Du es gerade erfunden… Halt die Ohren steif, wir wünschen Dir das Allerbeste und denken oft an Dich – nächste Woche wieder mehr auf Avanti Dilettanti!

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    1. Ey Alter, das sind keine gute Nachrichten!! Aber von denen gibt es sowieso nicht so viele, momentan. Deine Situationsbeschreibung klingt wirklich witzig, allerdings kann ich das nachvollziehen, das sich dabei der Spaß in engen Grenzen hält. Halt die Ohren steif, bevor Du den Löffel abgibst, lerne ich richtig Gitarre spielen, d.h. wir müssen beide ca. 100 Jahre alt werden.

      Gruß
      Reinhard

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