Musik hören?

Es wird wahrscheinlich so viel Musik konsumiert wie niemals zuvor. Es wird wahrscheinlich so wenig Musik gehört wie niemals zuvor. Dieser Zustand stellt uns Musiker vor ein echtes Problem. Zwar erfordert der Markt einen nicht endenden Zustrom an frischem Soundbrei, die Qualität desselben ist jedoch anscheinend unerheblich.

Auffällig ist die Unsitte, bei jeder Veranstaltung mit Livemusik in allen noch so kurzen Pausen sofort seitens des Veranstalters oder des Personals Musik aus der Konserve abzuspielen, so dass ein ohnehin meist desinteressiertes Publikum auch ja nicht eine Sekunde unbeschallt bleibt. Das passiert auch auf akustisch gespielten Sessions in kleinen Kneipen. Die permanente Berieselung mit beliebigen Tönen hat sich also zu einer Art obligatorischer Grundversorgung gemausert, deren Vorhandensein in etwa so gewürdigt wird, wie das von atembarer Luft. Es ist selbstverständlich, man muss es nicht erwähnen. Als ich vor kurzem in einem Bamberger Restaurant zur Feier eines 50. Geburtstags meinen allseits leichtverdaulichen Gitarren-Jazz live zum Besten geben wollte, bat ich eine Mitarbeiterin der Lokation, die Konservenmusik während meines Spiels auszuschalten, was sie mit der etwas ungläubigen Frage “Ganz?” quittierte. Meine ironische Replik “Halb ist schwierig, oder?” brachte sie eher zum Nachdenken über die technischen Möglichkeiten ihres Soundsystems als zu der Erkenntnis, dass ich generell ungern gegen eine Hifi-Anlage anspiele.

Ich denke, die Leute meinen es gar nicht böse, sie haben wirklich keinerlei Wertschätzung für Musik. Die ist ja in unbegrenzter Menge vorhanden und kommt bei Bedarf wie hochwertiges Trinkwasser aus dem Wasserhahn. Das ist ein nettes Bild, denn auch bei Wasser aus der Leitung hat sich die Idee, es müsse rund um die Uhr kostenfrei zu jeder beliebigen Verwendung zur Verfügung stehen, in den Köpfen von Vielen festgesetzt. Jüngere Menschen sind ja mit den Stöpseln in den Ohren aufgewachsen, durch die sie, ausgestattet mit irgendeiner dubiosen halblegalen Musik-Flat, 24 Stunden am Tag kostenlos mit Soundplörre versorgt werden. Bei derartigem Dumping bleibt den Produzierenden nahezu keine andere Wahl, als den Markt mit immer billiger hergestellten Synthesizer-Songs zu fluten. Sogenannte “aktuelle Hits”, die ich entweder von meinen Kindern zur Beurteilung vorgelegt bekomme oder zum Einstudieren für das Programm meiner Tanzkapelle anhören muss, sind musikalisch zumeist von beeindruckender Schlichtheit und besitzen nicht einmal im Refrain oder in einer Hookline einen Wiedererkennungswert. Plörre eben.

Bis auf ein paar Übriggebliebene meiner Generation kenne ich keinen, der sich in seiner Freizeit hinsetzt und Musik hört. Womit ich eben gerade nicht die Berieselung während einer ‘sinnvollen’ Betätigung meine, sondern Musikhören zum reinen Genuss. Wie Musik ausschließlich Beiwerk zum eigentlichen Anlass ist (U-Bahn-Fahren mit Musik, Herumhängen mit Musik, Hausaufgaben mit Musik etc.) so ist auch die musikalische Live-Darbietung nur die Soße auf dem Freizeitknödel: Stammtisch mit Musik, Brunch mit Musik, Stadtwurst mit Musik! Der Live-Musiker ist der Hampelmann, der mit seinen langweiligen Ansagen verhindert, dass der gewohnte Berieselungseffekt beim Feierabendtrunk eintritt. Ärgerlich! Der Abschiedsgruß an scheidende Musiker nach einem Abend voller Desinteresse der Zuhörer und Ankämpfen gegen Lethargie und Pausenmusik durch den Wirt, der garantiert keinen einzigen Song komplett gehört hat und pünktlich zur einfühlsamen Ballade zwei Cappucino(s) mit extra Milchschaum gefertigt hat, ist übrigens stets: “Schön habt Ihr gespielt!”

Ist eine ordentliche Gage vereinbart, lässt sich solcherlei ertragen. Gibt es allerdings nur die Hutsammlung oder nicht einmal das, gilt der Satz: “Aber ihr spielt ja hauptsächlich, weil es euch Spaß macht, gell?”

Aber das ist eine andere Geschichte und soll ein andermal erzählt werden.

Euer Gige

3 Kommentare zu „Musik hören?

  1. Zunächst mal: schön, dass mit diesem Blog ein Ventil geschaffen wurde, durch welches leidenschaftliche Musikliebhaber Dampf ablassen, bzw. sich austauschen können!
    Es ist schon ein # mit diesen Musikkonsumenten, sie machen einfach nicht das, was der Musiker sich wünscht. Zwar lassen sie rund um die Uhr Musik dudeln, hören aber eigentlich nicht hin und wollen auch nix dafür bezahlen. Soweit das Klischee. Natürlich ist da was dran. Die Musik- oder sagen wir doch die Kunsttauglichkeit der Massen ist wenig ausgeprägt. Aber war das nicht schon immer so? Ich bin mir da nicht sicher, auch wenn ich selbst aus Frust die Livemusik gänzlich aufgegeben habe. Aber: hatte ich vielleicht früher selbst eine andere Einstellung zu den Dingen? War mein Selbstdarstellungsbedürfnis früher einfach stärker entwickelt und hat so verhindert, dass ich die Kleinkunstszene in einem besseren Licht sah, als sie es verdiente? Ich weiss es nicht. Aber jedenfalls habe ich jetzt ein wenig demonstrative Selbstkritik angebracht, damit man mir beim folgenden Abledern meine Lauterkeit abkauft…

    Ich habe schon auch das Gefühl, dass das kulturelle Interesse nachgelassen hat und einer neuen Oberflächlichkeit gewichen ist. Ich gehe aber so weit (Generalist der ich bin), dies auf sämtliche Kunstrichtungen auszudehnen. Oder was soll man davon halten, wenn z. B. die Malerei zum bloßen dekorativen Element herabgewürdigt wird. Freilich sind Motive von Miró oder Kandinsky als Gestaltung für gutbürgerliche Badfliesen geeignet, aber, nun ja… äh, gatz, stotter, aber nun wieder zurück zur schönen Musi! Teilen wir doch die Gesellschaft einmal ganz dreist in zwei Gruppen auf: Da sind die einen, für die Musik so eine Art koordiniertes Hintergrundgeräusch darstellt, das dafür hergenommen werden kann, nicht mit der eigenen geistigen Leere konfrontiert werden zu müssen. Diese Menschen sind die Radiodauerdudler, die meist einen unverbindlichen Unterhaltungssender bevorzugen und diesen für immer beibehalten. Für diese Menschen wird Musik niemals ihre innere Wahrheit offenbaren, aber der genannte Personenkreis benötigt diese auch nicht. Diese Musikhörer kommen ohne Gefühlstiefe in der Musik aus, sie sind, obgleich sie Musik ständig konsumieren, doch eigentlich unmusikalisch. Sie kann man nur zu einer Livemusikdarbietung locken, in dem man das Ganze als „Event“ verkauft. So ein Event kann vielgestaltig sein. Das einmalige Deutschlandgastspiel vom Jagers Michi und seinen Rollsteiner Musikanten bis hin zum political-Correctness-Festival a lá „Afrikanische Flüchtlingskinder basteln für den Frieden“. Hier trifft dann die beschriebene Gruppe auf die zweite Abteilung und das sind die Kulturbeflissenen. Die interessieren sich genau so wenig wie die Erstgenannten für Kunst im Allgemeinen, bzw. Musik im Besonderen, sind aber stets bemüht, sich einen kulturellen Anstrich zu geben ohne dabei jemals auch nur in die Nähe von Verständnis für irgendwas zu geraten. Welche von beiden Gruppen ich bevorzuge? Also, ich liebe sie beide!
    Ach, so ein Blog ist richtig spaßig, man kann einfach drauflos schreiben, ohne Struktur oder dergl., so habe ich jetzt längst vergessen, worauf ich eigentlich hinaus wollte. Bitte verzeih, lieber Gige, daß ich mich momentan zum Thema „Geld und Gagen“ nicht äussern möchte, mir ist einfach nicht danach. Vielleicht wann anderschd… Nur noch dies Eine: Als Livemusiker sollte man ein bisschen vorsichtig sein mit dem Zuordnen des jeweiligen Publikums zu einem der beiden beschriebenen Stereotypen. Ich kann mir natürlich vorstellen (und habe dergleichen auch schon selbst erlebt), dass man als diensthabender Künstler bei einer Geburtstagsfeier irritiert ist, ob der vermeintlichen Ignoranz (in diesem Fall der diensthabenden Kellnerin), doch ob man sie (die Kellnerin) wirklich verdammen sollte – ich meine, nein! Schliesslich ist sie (die Kellnerin) ja auch auf der Veranstaltung, um ihren Beruf auszuüben, dessen Profil als einzige Gemeinsamkeit zum Livemusiker den Dienstleistungsaspekt aufweist. Und wie oft bringt der Livekünstler sein Verständnis für die Nöte des Bedienungspersonals zum Ausdruck? Hier nun aber möchte ich für den Moment schliessen, nicht ohne die Drohung auszusprechen, mich in absehbarer Zeit wieder zu Wort zu melden. Bis dahin!

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  2. Werter True-Bad-X,
    haha, jetzt habe ich erst den Nick verstanden… köstlich! Das hat aber gedauert!
    Deine Einteilung der Gesellschaft in die genannten Gruppen gefällt mir außerordentlich! Hätte von mir stammen können. Stammte sie aber nicht. Das gefällt mir weniger…
    Nicht einverstanden bin ich allerdings mit der Verständnis heischenden Warnung vor der vorschnellen Zuordnung der Bedienung zu einer der in Deinem Kommentar genannten Gruppen. So wie ich wahrlich kein Fachmann in Sachen Gastronomie bin, ist die beschriebene Person sicherlich keine Fachfrau in meinem Metier. Wir waren beide an diesem Abend Dienstleister für das Geburtstagskind. In unzähligen Jobs habe ich mir aber einen durchaus einfühlsamen Umgang mit den Befindlichkeiten des jeweiligen Personals antrainiert. Wie platziere ich mich, um die KellnerInnen möglichst wenig zu behindern, wann ist der geeignete Zeitpunkt, den gestressten Barmann nach einer Kabeltrommel zu fragen etc. Das Gastro-Personal fällt für mich also aus dem Kreis des Publikums, hier habe ich keine Erwartungen. Von daher ist die Kritik am seltsamen Vorschlag der Bedienung zugegebenermaßen etwas off-topic, aber dennoch berechtigt, da sie offensichtlich keinerlei Verständnis für meine Dienstleistung hatte.
    Übrigens habe ich mich mit allen anwesenden Bediensteten den ganzen Abend über blendend verstanden, was uns allen das Leben erheblich erleichtert hat…
    Was die Drohung des erneuten Kommentierens betrifft , bleibt mir nur das passende Zitat: Lasst sie nur kommen, lasst sie nur kommen!
    Ich habe noch ein paar Buchstaben in meiner Tastatur!

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  3. Wein her, das ist zum Weinen…

    Für das oben und sonst auch oft geschilderte Phänomen (genauso wie für die schlechte Bezahlung des aktiven Musikers) gibt es eine ganz einfache Begründung. Die Leute wollen unsere Musik gar nicht hören. Wirklich nicht, Genauso wenig wie wir die Gedichte der unzähligen Lyriker(innen) dieses Landes lesen oder die Bilder der Myriaden von bayerischen Malern sehen wollen.

    Es geht Ihnen einfach am Arsch vorbei.

    Und das war auch schon immer so, selbst Mozart musste sich dem nach einem Zwischenhoch fügen.

    Dasselbe anders formuliert: Wer als Jazzmusiker in den letzten 12 Monaten nicht wenigstens einen Gedichtband aus zeitgenössischer Herstellung in einem physischen Buchladen gegen Bargeld oder Karte erworben hat, der sollte über mangelnde Wertschätzung und schlechte Bezahlung seiner Kunst beschämt schweigen.

    (…..beschämtes Schweigen…….)

    Danke.

    Da dem Individuum im Kampf gegen die Wirklichkeit leider meist nur die Silbermedaille bleibt, ergeben sich für den Musiker, der nicht Don Quixote de la Mancha zu seinem Wappentier erkoren hat (sondern Sancho Pansas Esel) nur drei Möglichkeiten:

    a) Man lebt damit, nimmt die kargen Gagen oder den gelegentlichen Zehner im Hut mit, ärgert sich nicht weiter und spielt exklusiv für den einen Menschen im Publikum der tatsächlich zuhört (einen gibts meiner Erfahrung nach immer).

    Vorteile: etwas mehr Taschengeld, nix ändert sich aber man ärgert sich einfach nicht mehr darüber
    Nachteil: nix ändert sich

    oder

    b) Man lässt es bleiben, verzichtet konsequent auf Auftritte vor Leuten die es eh nicht interessiert (d.h. in der Praxis alle bezahlten Gigs sowie jegliche Jamsession – wer geht schon auf Sessions um andere zu hören?) und spielt seine Musik im kleinen Kreise gleichgesinnter Freunde. Das sind oft wenige aber wenigstens gibt es in der virtuellen Welt (auf Facebook etc) noch ein paar mehr.

    Vorteile: ungetrübte Konzentration auf die geliebte Musik, ruhige Abende ohne Rückenschmerzen vom Verstärkerschleppen, keine langen Nachtfahrten und nervige Parkplatzsuche
    Nachteile: weniger Taschengeld, niemand sagt mehr „Schön habt ihr gespielt“

    oder

    c) Man folgt der Spur des Geldes und spielt Musik, die die Leute tatsächlich hören wollen. In der Welt in der wir leben ist das eindeutig Volksmusik. Eine Stilistik von zeitloser Beliebtheit und mit einem i.d.R. sehr begeisterungsfähigem Publikum – ein Traum! (Für Archtopspieler ist dies Richtung schon deshalb zu empfehlen, weil sie keine Neuanschaffung von teuren Instrumenten erfordert)

    Vorteile: anständige Gagen, begeisterte und extrem aufmerksame Zuhörer, Lob, Anerkennung, Begeisterungsschreie, in Einzelfällen auch Groupies in allen Altersklassen, volle Befriedigung der inneren Rampensau, Fernsehen, Rundfunk, Auslandsgigs in allen Hofbräuhäusern dieser Welt zwischen Las Vegas und Singapur, Freibier, Zugaben zu denen man das Publikum nicht zwingen muss, farbenfrohe Berufskleidung, nie wieder eine alterierte Skala versemmeln, keine drop 3 voicings, auch keine drop 2, Dreiklänge statt Vierklänge, Sweet Home Alabama als Walzer und vieles mehr…
    Nachteile: keine unmittelbar erkennbaren

    So junger Mann – wähle Deinen Weg a), b) oder c), nimm den Apfel von irgendeiner Göttin, machwas, aber beschwer dich nicht hinterher. (Reim!)

    So – das war jetzt wahrscheinlich eine komplette Themaverfehlung, ging es doch um feinsinnigen Kulturpessimismus und die Theorie vom ewigen Niedergang der Künste – macht nix, wie mein Vorredner so schön bemerkte ist es das herrliche an einem Blog, dass man lustig vor sich hin schreiben kann.

    In diesem Sinne: schön, dass es dich gibt, Blog! ad multos annos!!

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